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Planetare Intelligenz: Teil 2 von 3

Lars

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Gibt es planetare Intelligenz?

Im ersten Teil dieses Essays sprachen wir über die auffällige Ähnlichkeit zwischen dem menschlichen Suchtverhalten und der Wachstumssucht moderner Gesellschaften und ob man sie analog zu einer Substanzsucht therapieren könnte. Hier nun der theoretische Versuch einer Befreiung aus der Suchtspirale durch den Mut zu mehr Planetarer Intelligenz.

Sucht hat in der Regel zwei Treiber. Einer ist qualitativ, es werden immer neue, andersartige Rauschzustände gesucht. Der andere Treiber ist quantitativ: vom Suchtmittel wird immer mehr verlangt. Das gilt in unserem Fall, also im Fall der modernen konsumsüchtigen Gesellschaften, sowohl für die Produktions-, als auch für die Konsumseite.

Der Beginn jeder Suchttherapie liegt in der Einsicht in die Sucht und ihre Schädlichkeit. Hier bietet sich bei der Wachstumssucht unseres Wirtschaftssystems ein heterogenes Bild. Bedingt durch direkte Nachteilserfahrungen der Klimakrise und eng getaktete Wirtschaftskrisen wird die Sicht auf unsere Wirtschaftsweise zwar kritischer. Nach wie vor sind es aber nicht ganze Gesellschaften, die ihre Wachstumssucht infrage stellen, sondern allenfalls Teile einzelner Gesellschaften, während andere ihr Suchtverhalten sogar steigern. Hinzu kommt, dass wir es auch psychologisch mit einer Asynchronität zu tun haben. Die Einsicht - Ja, wir müssen verzichten - die im Moment der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema gezeigt wird, bricht im Moment der konkreten, oft nicht öffentlichen Konsum- bzw. Wachstums-Einlassung zusammen.*

Es ist also eine doppelte Hürde zu nehmen: die der janusköpfigen Abhängigkeit und die der verborgenen Suchtverstetigungs-Taktiken

Skalierbarkeitserwartung als treibende Kraft der Sucht

Auf der Produktionsseite ist unser Wirtschaftssystem süchtig nach immer neuen, in vielen Fällen entbehrlichen Produkten. Innovation im Bereich der Hochtechnologie mag oft sinnvoll sein. Im Bereich der Massenproduktion ist sie es meist nicht. Sie führt in der Regel zu immer neuen Massen überflüssiger Produkte. Textil- und Lebensmittelindustrie sind hier nur die naheliegenden Negativbeispiele. Ein herausragendes ist die internationale Getränkeindustrie, die zur Profitsteigerung das funktionierende Glasflaschenpfandsystem abschaffte und seitdem mit jährlich 440 Milliarden Plastikflaschen die Erde zerstört. Flaschen die überwiegend gesundheitsschädliche Produkte enthalten.
Wir sind außerdem intellektuell in eine Skalierbarkeitsfalle geraten. Es werden überhaupt nur noch Produkte und Dienstleistungen gedacht und entwickelt, die in großer Stückzahl vermarktet werden könnten. Die scheinbar unverzichtbaren Produktmassen für den Massenkonsum sind der zerstörerische Faktor unserer Produktionsweise. Nebenbei ersticken wir mit dieser Skalierbarkeits-Sucht kleinteilige Produktionsansätze, die uns von der Sucht kurieren könnten und die in regionalen Kreisläufen oft schonender sind. Nicht gewinnorientierte Konzepte wie die Erschließung und schonende Nutzung latenter Allmenden werden ignoriert. Unsere größten Allmenden, die Ozeane, werden etwa durch nationalistische und wortwörtlich raubtierkapitalistische Gier vor unseren Augen ruiniert.

Wie wir es von süchtigen Individuen aus der Beschaffungskriminalität kennen, schrecken auch die süchtigen Industriegesellschaften vor keiner Zerstörung langfristiger Beziehungen mit den Ressourcen des Planeten zurück, um ihre kurzfristigen Produktions- und Konsumräusche zu neuen Höhepunkten zu treiben. Aktuelles Beispiel ist das unkritische Revival des durch extrem umweltschädliches Fracking gewonnenen Flüssiggases. Ein anderes ist die notorische Zerstörung des Regenwalds für Nutztierfutter-Anbau oder pseudo-ökologische Treibstoffe. Das ist nicht neu. Interessant aber ist die Betrachtung des Zusammenhangs aus der Sicht der Suchterhaltung. Legen wir die eine Quelle für Suchtstoffe still z.B. russisches Erdgas, wird sofort eine andere erschlossen, sowie sich nach der Eindämmung der kolumbianischen Kokain-Kartelle zügig mittelamerikanische Ressourcen erschlossen. Und vice versa.

Der Verzichtsgedanke wird nicht gedacht, der Suchtstoff muss extrahiert werden, weil es die unstillbare Sucht gibt. Im Falle der modernen Gesellschaften nennen wir das etwa Energiesicherheit, sie soll jetzt vorübergehend durch einen Wechsel der Suchtmittelerzeuger gesichert werden, dann durch Suchtmittel-Ersatztherapie (sogenannte alternative Energien), die wiederum mit erheblichen umweltbelastenden Materialmengen erst möglich werden.
Die Befreiung aus der Abhängigkeit, das Ende der Sucht, scheint in weiter Ferne. Dass wir z.B. mit der Sonnenenergie auch noch Abhängigkeiten etwa von China eingehen, ähnelt dem Verhältnis eines Drogenkonsumenten zu seinem kriminellen Lieferanten. Bei der Windkraft und Akkutechnologie sieht es ähnlich aus. Die Lösung liegt auf der Hand. Ausstieg aus dem Suchtkreislauf durch allmähliche Entwöhnung von Konsumismus und damit verbundener Energiesucht.


Die Politik ist zu langsam. Die Industrie muss voran gehen

Da staatliche Vorgaben oft von zeitfressenden Kompromissen gezeichnet sind, muss hier angesichts der planetaren Notlage die Industrie vorangehen und gleichzeitig Handlungsimpulse setzen, die von staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren aufgenommen und verstärkt werden.
Ist es illusorisch, von den Produzenten zu verlangen, dass sie weniger produzieren und das auch noch in Kreisläufen? Dass überdimensionierte Status-Produkte abgeschafft und die Lebensdauer von Alltagsprodukten deutlich verlängert wird?
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, wenn die Alternative ist, gar nichts mehr produzieren zu können, weil die planetaren Grundlagen entfallen. Produktkategorien von notwendig über entbehrlich bis schädlich wären einzuführen. Was notwendig ist, wäre mit einer hohen Produktlebensdauer und Reparierbarkeit sowie Recyclebarkeit zu versehen. Die Kategorie schädlich wäre durch Preispolitik auf Null zu reduzieren. In der Mitte bleibt das Segment entbehrlich oder "Nice to have", dessen strategisches Gewicht vermutlich mit den ökologischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingung schwanken würde, aber langfristig auch zurückzufahren wäre. All das klingt gleichzeitig utopisch und planwirtschaftlich. Man meint das alte Schreckgespenst aus Unfreiheit und Dysfunktionalität am Horizont zu sehen.

Darum drei Fragen.


Erste Frage:

Wenn es um den Erhalt unserer planetaren Lebensgrundlagen geht, ist dies nicht vielleicht der einzige Weg aus dem Teufelskreis von Produktions- und Konsumsucht, weil eine ungelenkte Fortführung der Marktdynamik nicht zu einer schnellen Verminderung der Produktmassen führen kann?
Denn die Skalierbarkeitserwartung sorgt für die Erhaltung der Produktmassen.
Sie werden zwar modifiziert im Sinne einer trendigen Nachhaltigkeit, welche oft nichts anderes als Greenwashing ist. Aber die Produktmassen werden angesichts der Aufholbewegungen beim Lebensstandard des globalen Südens exponentiell zunehmen.
Selbst wenn sie dann spürbar nachhaltiger produziert würden, wäre die rasant wachsende Quantität tödlich für den Planeten.
Um das Konsumniveau der sogenannten westlichen Industriegesellschaften, die einen bis zu 32-fach größeren Fußabdruck ihrer Bürger erzeugen, als sogenannte unterentwickelte Gesellschaften, um dieses Niveau für die bald 9,5 Mrd Erdenbewohner zu ermöglichen, würden wir die planetaren Ressourcen von 80 Erden benötigen (J. Diamond/Krise). Wir hätten also spätestens am fünften Tag des Jahres sämtliche planetaren Ressourcen verbraucht. Wer hier noch auf ein "Weiter so" setzt, ist offen gesagt nicht ganz zurechnungsfähig. Und auch alle Nachhaltigkeitsbemühungen sind hier nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Das bedeutet: Extraktion & Verwüstung, das Prinzip des Nehmens, das Prinzip des wachstumssüchtigen Wirtschaftens (nicht nur bei Rohstoffen, sondern auch gegenüber Menschen und Tieren) sind überholt. Wer aggressiv daran festhält, gräbt sich und der Menschheit nicht nur das Wasser sondern alles Lebensnotwendige ab. Auch die sogenannte saubere Energie ist hier nur eine Alibi: „Saubere Energie mag eine Hilfe sein, wenn es um Emissionen geht; aber sie trägt nichts dazu bei, Entwaldung, Überfischung, Bodenverarmung und Massenaussterben rückgängig zu machen. Eine wachstumsbesessene Wirtschaft wird uns, auch wenn sie von sauberer Energie angetrieben ist, trotzdem in die ökologische Katastrophe stürzen“ (J. Hickel/Die Tyrannei des Wachstumismus.).


Zweite Frage:

Ist es nicht die Pflicht der Demokratien durch wissenschaftlich fundiertes Verständnis der Menschen und faire Befragung der Bürger zu ermitteln, welcher Grad des Verzichts zumutbar ist, da Diktaturen und Autokratien den Verzicht - wenn überhaupt - nur willkürlich anordnen würden? Antwort: JA. Der zweiten Frage schließt sich gleich eine weitere an:


Dritte Frage:

Was braucht der Mensch eigentlich für ein gutes Leben? Bevor wir uns ihr im Detail zuwenden, erstmal die zugespitzte Antwort: Für ein gutes Leben braucht der Mensch jedenfalls keinen überschießenden Konsum. Der wurde dem sogenannten westlichen Menschen im Laufe der letzten anderthalb Jahrhunderte durch eine in Skalierbarkeits-Erwartungen gefangene Industrie-Gesellschaft antrainiert. So wurden Konsum- und Produktionssucht zur Normalität.
Mittlerweile wissen wir aber, dass der im BIP verkörperte Beitrag des materiellen Wohlergehens zu einem guten Leben nur bis zu einem gewissen, relativ niedrigen Punkt ansteigt. Danach geht es um Faktoren wie leichten Zugang zu gesellschaftlichen Gütern, Gemeinschaft und gesundheitsförderndes, niedriges Dauerstresslevel, humane Entwicklungschancen. Das ist schon lange bekannt: „Das BIP misst weder unseren Verstand noch unseren Mut, weder unsere Weisheit noch unsere Bildung, weder unser Mitgefühl noch die Liebe zu unserem Land. […] Kurz, es misst alles außer dem, was das Leben lebenswert macht.“ (Robert Kennedy)

Aber die Erkenntnis wird noch längst nicht beherzigt. Ganz im Gegenteil. Die frühzeitig von seinem Erfinder Kuznet ausgesprochene Warnung, das materielle BIP auf keinen Fall zum Maßstab unserer gesellschaftlichen Entwicklung zu machen, wurde unter dem Primat der Wirtschaft systematisch ignoriert und konterkariert und hat uns direkt in den konsumistischen Suchtzusammenhang befördert, aus dem wir uns heute nur so schwer befreien können.

Der GPI/Genuine Progress Indicator versucht diese Fehlentwicklung zu korrigieren. Er rechnet gegen die persönlichen Konsumausgaben Einkommensungleichheit sowie soziale und ökologische Kosten. Seit Mitte der 70er Jahre flacht er gegenüber dem ansteigenden BIP ab und reduzierte sich dann sogar. Der GIP evoziert die erstrebenswerte Verfassung einer noch nicht völlig vom Suchtverhalten beherrschten Gesellschaft. Er ist damit näher an dem, was wir unter einem guten Leben verstehen sollten. Fällt er günstig aus, hat die Suchtgesellschaft weniger Suchtmittel im Blut.
Orientieren wir uns an ihm, werden sich die negativen Folgen des überschießenden materiellen Wachstums wie Ungleichheit, planetarer Ruin und Gesundheitsprobleme absehbar reduzieren. Das könnte neben der Umstellung auf der Produktionsseite (s.o.) ein weiterer Weg aus der Suchtspirale sein. Auch Ideen wie das One Health Concept tragen dazu bei, indem sie die Gesundheit von Mensch, Tier und Planet gleichermaßen denken. Nimmt man solche Ansätze ernst, können sie helfen, den vorherrschenden naiven Unternehmerinnen-Aktionismus zu bremsen, der dem konsumistischen Suchtkreislauf immer neue Suchtmittel zuführt und dafür medial gefeiert wird.

Aus der richtigen Perspektive und verglichen mit dem weitgehenden Verlust unserer planetaren Grundlagen ist Produktions- und Konsumverzicht ein kleiner Schritt. Denn er würde etwas Menschengemachtes durch menschliches Handeln korrigieren. Vor dem einmal eingetretenen planetaren Ruin aber wäre menschliches Handeln machtlos.


Es gibt Wege der Therapie und sie müssen sofort eingeschlagen werden

Es gibt also vielversprechende Hilfsmittel für die Sucht-Therapie. Mit dem Genuine Progress Indicator lässt sich das Ausmaß der Abhängigkeit bestimmen, mit einem Absenken unserer Skalierbarkeitserwartungen lässt sich die suchtfördernde Haltung korrigieren, mit dem One Health Concept lassen sich Vorsorge und Folgebehandlung angehen. Viele andere Ansätze sollten ebenso beitragen können.

Jedoch ist der alles entscheidende Faktor die Zeit. Daher wird es der Maßstab für die Suchttherapie sein, ob es uns gelingt, die einflussreichsten Akteure der Industrie zur Einsicht in die zerstörerische Suchtspirale und zu deren schneller Korrektur zu bringen. Denn die staatlichen Akteure wandeln sich zwar zögernd zum Anwalt des Planeten, aber ein schnelles Handeln der Industrie weit über Nachhaltigkeitserwägungen hinaus zu einem strategischen Verzicht auf mögliche monetäre Wertschöpfung ist die Voraussetzung, die zeitlich befristete Wandlungschance zu nutzen.

Der Verzicht auf ein angestrebtes oder bereits erreichtes Wohlstandslevel wird heute nirgends ernsthaft erwogen. Leitmedien und die Politik feiern unverdrossen Wachstumsraten und neue Triumphe der teils grün gewaschenen Massenproduzenten. Wissentlich das Falsche zu tun ist menschlich und ein so altes Verhaltensmuster, dass schon die Griechen dafür den Begriff "Akrasia" prägten.
Dabei warnt selbst die Umweltorganisation der UNO schon vorm Kollaps der planetaren Systeme, doch es erscheint weiter illusorisch, dass Coca Cola zum Pfandflaschensystem zurückkehrt, oder dass etwa einer der großen Autokonzerne freiwillig seine Produktionskapazitäten drosselt. Legitimiert durch die E-Auto-Produktion werden sie eher noch gesteigert. Scheinnachhaltigkeit fungiert dabei sogar als qualitativer Suchttreiber. Aufholeffekte dynamischer Volkswirtschaften potenzieren die planetare Verheerung, mutwillig angezettelte Kriege erzeugen neben Menschenopfern Zivilisationsschäden und weitere Umweltzerstörung.


- Werden wir zu langsam sein, um einem Kollaps durch klugen Verzicht zuvorzukommen?
- Haben wir überhaupt die minimalen Voraussetzungen für einen strategischen Verzicht auf unsere gewohnten Suchtmittel und Verhaltensmuster?
- Sind Industrie und Gesellschaft intellektuell beweglich genug?


Die 3. Revolution: Rechte der Natur und auf Natur werden Gesetz

Die Antwort auf diese Fragen bleibt offen. Damit sie vielversprechend ausfällt, brauchen wir eine ökologische Verfassung mit gegenseitigem - also auch subjektivem für jeden Bürger einklagbaren - und nicht nur einseitigem Recht auf einen intakten Planeten.
Eigentum wird dann auch ökologisch verpflichten. Aus der marktkonformen Ökologie wird in schnellen Schritten ein ökologiekonformer Markt. Rechte der Natur und einzelner Ökosysteme werden - wie 2008 schon in Ecuador - ins Grundgesetz aufgenommen.
Die 3. Revolution nennt das etwa der Autor Kersten in seinem Plädoyer für ein Ökologisches Grundgesetz. Darin werden wir beweisen müssen, dass wir intelligent genug sind, unser eigenes Aussterben zu verhindern. Womit auch die wichtigste Anforderung an eine planetare Intelligenz umrissen wäre.



Im dritten Teil des Essays werden wir versuchen, Schlussfolgerungen für eine Abgrenzung planetarer Intelligenz gegen unser heutiges Verhalten zu ziehen.





*Internetkonsum beziehungsweise unternehmensinterne Vorgaben von Wachstumsraten

Photography © L.v.Wangger

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